Wissenschaftsphilosophie
Wissenschaftliches Denken und Arbeiten
Die kritische, analytische und strukturierte Herangehensweise an die Phänomene der Welt, des Lebens und der Gesellschaft
Im akademischen Bereich sind Kenntnisse der Wissenschaftstheorie sowie die praktische Fähigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens einschließlich der Wissenschaftskommunikation eine Kernkompetenz.
Deshalb hat gemäß Universitätsgesetz 2002 § 51 und § 80-86 jeder Absolvent einer Universität oder Fachhochschule eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, die dem Nachweis dient, wissenschaftliche Themen selbstständig sowie inhaltlich und methodisch vertretbar bearbeiten zu können (Diplom- und Masterarbeit) bzw. eine wissenschaftliche Fragestellungen selbstständig bewältigen zu können (Dissertation).
Die wissenschaftliche Kompetenzentwicklung an den Universitäten hat darüber hinaus einen tieferen Sinn und Zweck. Sie zielt auch auf die Persönlichkeitsentwicklung und das zivilgesellschaftliche Engagement der Studierenden ab. Die Fähigkeit des wissenschaftlichen Denkens und der wissenschaftlich-philosophische Zugang zu den Themen des Lebens
- erweitert den Blick auf gesellschaftliche Themen und soziale Probleme
- bewirkt das Hinterfragen selbstverständlicher und alteingesessener Auffassungen, Annahmen, Moralvorstellungen, Konventionen und Routinen
- fördert die persönliche Freiheit, denn Normen und Dogmen werden nicht mehr als die absolute Wahrheit hingenommen
- regt zur kritischen Betrachtung von Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Behauptungen an
- erleichtert das Auffinden bzw. Erkennen neuer und offener Forschungsfragen
- ermöglicht die systematische Analyse und Überprüfung von Zuständen, Phänomenen und Zusammenhängen
- erleichtert das Erlernen und Verstehen komplexer, umfangreicher, themenübergreifender Stoffgebiete
- verbessert generell die Problemlösungsfähigkeit und ermöglicht insgesamt eine selbstbewusstere Herangehensweise an die Problemstellungen im Leben
Wissenschaftskompetenz umfasst praktisch alle wichtigen Schlüsselkompetenzen für den akademischen und beruflichen Erfolg wie Lernkompetenz, Methodenkompetenz, Schreibkompetenz, Kommunikationskompetenz, Selbstkompetenz und Kreativität.
Subjektive Wahrnehmung versus wissenschaftliches Denken und Arbeiten
Vor gar nicht allzu ferner Vergangenheit meinten die Menschen, die Sonne drehe sich um die Erde. Nikolaus Kopernikus bezweifelte diese Annahme und stellte im Jahr 1510 die These des heliozentrischen Modells auf, fand allerdings keine wissenschaftlichen Beweise dafür, da es zu seiner Zeit die wissenschaftlichen Methoden und Instrumente dazu noch nicht gab.
Ende des 16. Jahrhunderts versuchten der Universalgelehrte Galileo Galilei und der Mathematiker Johannes Kepler schlüssige Beobachtungen zu sammeln, um das heliozentrische Modell zu beweisen.
In der Folge setzte sich das heliozentrische Modell durch, weil es Kepler mathematisch schlüssig beschrieb und vor allem, weil es Anfang des 17. Jahrhunderts von Galilei durch Beobachtungen mit einem von ihm weiterentwickelten Teleskop bestätigt werden konnte.
Erst viel später brachten größere Teleskope die Erkenntnis, dass die Sonne auch nicht das Zentrum des Universums ist, bis zum jetzigen Standardmodell der Kosmologie, welches Milliarden von Galaxien in einem sich mit zunehmender Geschwindigkeit ausdehnenden Universum kennt.
Mit der Erforschung von Phänomenen aus einer Kombination von Experimenten, Messungen und mathematischen Analysen wurde Galileo Galilei zu einem der wichtigsten Begründer der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaften.
Das Problem bei der Aufstellung der wissenschaftlichen Hypothese des heliozentrischen Modells und der Ablehnung des geozentrischen Weltbilds war, dass es für die Menschen tatsächlich so ausschaute, als ob sich die Sonne jeden Tag um die Erde drehen würde.
Wenn dann auch noch eine Dogmatik dazukommt, welche die Erde als das Zentrum der Schöpfung und des Universums betrachtet—und diese Ideologie tief im Denken der Menschen verankert ist—kann man sich vorstellen, wie schwer es war, ein davon abweichendes Modell bzw. eine alternative Hypothese aufzustellen und diese subjektive Wahrnehmung zu korrigieren.
Die wissenschaftliche Herangehensweise an die Phänomene der Welt
Mit dem modernen, professionellen wissenschaftlichen Denken und Arbeiten wird der wissenschaftliche Arbeitsprozess vom ersten fragenden Gedanken bis zur Publikation in folgender Art und Weise intellektualisiert und strukturiert:
- Auffinden und Formulieren eines Forschungsproblems, eines Forschungsthemas, einer Forschungsfrage
- Aufstellen wissenschaftlicher Hypothesen (Theoriebildung)
- Festlegung von Untersuchungsmerkmalen (Operationalisierung)
- Sammeln von Informationen (Datenerhebung und Datenerfassung)
- Analyse der gesammelten Daten
- Ziehen von Schlussfolgerungen
- Diskussion bzw. kritische Betrachtung der eigenen Forschungsergebnissen
Publiziert werden all diese Inhalte in einer Forschungsarbeit bzw. einem wissenschaftlichen Paper mit folgender Kapitelstruktur:
- Introduction
- Literature Research / Previous Research on the Subject (in wissenschaftlichen Papers meist in der Introduction und Discussion)
- Data and Methods
- Results
- Discussion
Ziel ist, neue Erkenntnisse zu gewinnen bzw. Phänomene, Sachverhalte und Zusammenhänge fundiert zu verstehen und die gewonnenen Erkenntnisse mit anderen Interessierten zu teilen und diskutieren.
Hypothesenbildung
In der Wissenschaft wird nach neuen Erkenntnissen gesucht, indem Phänomene, Zusammenhänge und Kausalitäten kritisch betrachtet, analysiert und in der Folge durch Beobachtungen überprüft werden. Die Vermutung bzw. Annahme wie verschiedene Faktoren miteinander in Beziehung stehen oder Phänomene funktionieren wird in Forschungsfragen formuliert und durch wissenschaftliche Hypothesen konkretisiert.
Je nach Natur der Forschungsfrage können folgende Arten von Hypothesen gebildet werden:
- Null- und Alternativhypothese
- Probabilistische Hypothese
- Deterministische Hypothese
Null- und Alternativhypothese
Bei zwei Ereignissen, die sich gegenseitig ausschließen, also entweder gilt das eine oder das andere, bietet sich das Aufstellen einer Null- und Alternativhypothese an. Z.B. ein Medikament reduziert entweder die Krankheitsdauer statistisch signifikant oder sie hat keine statistisch signifikante Auswirkung auf die Krankheitsdauer.
In Statistikprogrammen erfolgt dazu die Berechnung einer Fehlerwahrscheinlichkeit. Wird eine statistische Sicherheit von 95% gefordert, dann kann bei einer berechneten Fehlerwahrscheinlichkeit kleiner als 5% die Alternativhypothese angenommen werden.
Probabilistische Aussage
Probabilistische Hypothesen sind Wahrscheinlichkeitsaussagen über ein Ereignis, das mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintritt bzw. über einen Sachverhalt, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann. Man spricht hier weniger von Hypothese sondern eher von Aussage.
Besonders bekannt sind probabilistische Aussagen bei Wahlumfragen: Partei XPÖ erhält mit 95% statistischer Sicherheit zwischen pu und po Prozent der Stimmen. Häufiger wird folgende Aussage gemacht: Würde jetzt gewählt werden, dann würde die Partei XPÖ p Prozent der Stimmen erhalten mit einer Schwankungsbreite von p–pu Prozentpunkten. Die statistische Sicherheit bzw. das Konfidenzintervall wird dabei meist mit 95% festgelegt, d.h. mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% liegt der wahre Wert außerhalb des Konfidenzintervalls.
Probabilistische Aussagen können bei Gruppenvergleichen auch als Hypothesentest genutzt werden. Aus den dabei angegebenen Konfidenzintervallen CI kann dann eine Aussage über einen eventuell vorliegenden statistisch signifikanten Unterschied gemacht werden, also im Grunde die Null- und Alternativhypothese überprüft werden. Überschneiden sich die Konfidenzintervalle, liegt kein statistisch signifikanter Unterschied vor und die Nullhypothese kann nicht verworfen werden.
Deterministisches Modell
Wenn ein Ereignis unter bestimmten Voraussetzungen immer eintritt, spricht man von einem deterministischen Modell. Der Sachverhalt ist also durch Naturgesetze vorgegeben.
Die spektakulärsten empirischen Beweise betreffen wohl die von Albert Einstein aufgestellten deterministischen Modelle der allgemeinen und speziellen Relativitätstheorie. Mithilfe einer totalen Sonnenfinsternis konnte 1919 die durch die Allgemeine Relativitätstheorie vorausgesagte gravitative Ablenkung des Lichts überprüft werden.
Technisch viel aufwendiger war die Überprüfung der Relativität von Raum und Zeit, die erst 1971 von Joseph C. Hafele und Richard E. Keating mit vier Cäsium-Atomuhren in einem Flugzeug und einer stationären Atomuhr bewiesen wurde.
Die Relativitätstheorie ist auch ein Bespiel dafür, wie Ergebnisse theoretischer Grundlagenforschung zur Alltagsanwendung werden. Z.B. wäre ohne Einsteins Gleichungen keine exakte Satellitennavigation möglich.
In Bereichen wie der Physik kann die Überprüfung eines theoretischen Modells manchmal sehr lange dauern. Der britische Physiker Peter Higgs hat in den 1960er Jahren für das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ein Teilchen vorhergesagt, das erst 2012 mit dem Teilchenbeschleuniger in CERN nachgewiesen werden konnte. Auch hier wurde erst das bestehende Modell kritisch betrachtet und analysiert und in der Folge mit einer Theorie erweitert, die in weiterer Folge durch Beobachtungen wissenschaftlich überprüft werden konnte.
Hingegen wird es z.B. bei der sogenannten M-Theorie bzw. String-Theorie wahrscheinlich nie möglich sein, den wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, weil diese Strings derart klein sind, dass die Energie für einen entsprechenden Teilchenbeschleuniger praktisch nicht aufgebracht werden kann. Hier wird man wohl in der Theorie verbleiben. Aber nichtsdestotrotz ist es spannend, sich mit diesen Theorien, die in sich stimmig und sehr elegant sind, zu befassen.
Literaturrecherche
Am Anfang steht der kritische oder fragende Gedanke, angeregt durch einen Beitrag in einem Forschungsjournal, durch eine irritierende Alltagsbeobachtung, durch die Aussage eines Kollegen auf einem wissenschaftlichen Kongress, durch eine Fragestellung bei der Behandlung eines Patienten, etc. Wenn ein tieferes Interesse daran besteht, kann diesem Gedanken nachgegangen werden und die Thematik im Rahmen von Literaturrecherchen eingehender betrachtet werden.
Die umfassende und sorgfältige Literaturrecherche ist in den meisten Fällen wohl der wichtigste Teil einer wissenschaftlichen Arbeit. Oft kann damit die Fragestellung zumindest teilweise beantwortet werden. Allerdings bleiben fast immer offene Fragen, die im Rahmen von Forschungsarbeiten weiter untersucht werden können.
Datenerhebung
Zur Beantwortung der offenen Forschungsfrage benötigen wir eine Datenerhebung bzw. ein Experiment, wobei wir darauf hoffen, dass uns die daraus gewonnen Beobachtungen, Daten und Analysen eine Antwort auf unsere Forschungsfrage geben.
Experimentelles Design
Das Auffinden relevanter offener Forschungsfragen und das Aufstellen der dazugehörigen wissenschaftlichen Hypothesen ist im Allgemeinen ein leichtes Spiel für erfahrene Wissenschaftler.
Hingegen kann das Experiment zur Beantwortung der Forschungsfragen mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein. Manche Experimente und Erhebungen sind nur mit extrem hohen finanziellen, zeitlichen und technischen Aufwand möglich, wie z.B. der Teilchenbeschleuniger in Cern. Auch eine einfache epidemiologische Erhebung über den Gesundheitszustand der Bevölkerung oder die Erforschung eines neuen Medikaments kann enorme Ressourcen beanspruchen. Insbesondere in der medizinischen Forschung kommen auch noch ethische Aspekte und gesundheitliche Risiken dazu.
Außerdem kann die akkurate Messung mit Schwierigkeiten verbunden sein, sogar wenn es sich um ein dichotomes (ja/nein) Merkmal handelt. Beispiel: Wie kann beim psychologischen Experiment der kindlichen Entwicklung zuverlässig feststellt werden, ob sich das Kleinkind im Spiegel selbst erkennt? Die Idee, man könnte dem Kind unbemerkt einen auffälligen Punkt ins Gesicht malen und in der Folge beobachten, ob das Kind bei Betrachtung im Spiegel den Punkt sich selbst zuordnen kann (Rouge Test), braucht es gewisses Maß an Kreativität.
Manchmal ist vor der eigentlichen Studie eine Pilotstudie mit wenigen Probanden erforderlich, um die Zuverlässigkeit des Experiments, des Studiendesigns oder eines Tests vorab zu prüfen.
Eine Studie mit gültiger Forschungsfrage und gelungenem Experiment kann auch zum Scheitern verurteilt sein, wenn nicht darauf geachtet wird, gültige statistische Aussagen treffen zu können. Deshalb beschäftigen die meisten Forschungseinrichtungen Statistiker, die sich zuallererst um das statistische experimentelle Design (auch statistische Versuchsplanung genannt) und um die Berechnung des erforderlichen Stichprobenumfangs kümmern.
Für ein gelungenes experimentelles Design ist Kreativität, Können und Erfahrung erforderlich. In den meisten Fällen braucht es dazu ein multidisziplinäres Team oder eine erfahrene, professionelle Unterstützung.
Data-Mining
Insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich existieren große Datenmengen, die mithilfe statistischer Methoden analysiert werden könnten mit dem Ziel, Muster, Trends, Zusammenhänge, Querverbindungen und Regelmäßigkeiten zu erkennen. D.h. hier müssten die Daten nicht im Rahmen eines teuren Forschungsprojekts aufwendig erhoben werden. Allerdings stehen meist datenschutzrechtliche Gründe gegen die Verwendung solcher Daten. Auch die Reproduzierbarkeit des Experiments wäre nur eingeschränkt gewährleistet.
Reproduzierbarkeit eines Experiments
Die Reproduzierbarkeit ist eine Grundanforderung an wissenschaftliche Experimente, Messungen und Analysen. Dementsprechend werden im Methodenteil einer wissenschaftlichen Publikation experimenteller Aufbau und Versuchsdurchführung beschrieben. In der Folge kann ein experimentelles Ergebnis von Forschern repliziert und überprüft werden. Als verlässlich gilt ein experimentelles Ergebnis erst dann, wenn es von anderen Forschern nachvollzogen worden ist.
Es gibt es jedoch auch Ausnahmen von der Reproduzierbarkeit eines Experiments. Z.B. kann das einmalige Ereignis von geburtenstarken Jahrgängen in den 1960er Jahren und den Umständen des sogenannten Wirtschaftswunders nicht repliziert werden. Auch die COVID-Pandemie ist so ein zufälliges Experiment, welches nicht repliziert werden kann.
Solche Ereignisse können als gesellschaftliche Experimente gesehen werden, welche nie geplant wurden, sondern passierten. Bei Forschungsprojekten zur Untersuchung der Effekte dieser einmaligen Ereignisse ist es besonders wichtig, dass die Datenerhebungen und Datenanalysen nachvollziehbar sind und im Daten-/Methodenteil der wissenschaftlichen Arbeit genau beschrieben werden.
Publikation
Sensationelle Ergebnisse und neue Erkenntnisse von großer Tragweite lassen sich natürlich leicht in anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizieren bzw. als wissenschaftliche Arbeit einreichen. Aber manchmal erhalten wir trotz gültiger Forschungsfrage und akkuratem experimentellen Design keine befriedigende Antwort und viele zusätzliche offene Fragen. In den meisten Fällen ist dies ein wichtiger Erkenntnisschritt in der wissenschaftlichen Fachdisziplin, der es wert ist, jedenfalls publiziert zu werden.
Wissenschaftliches Denken und Arbeiten anhand von Beispielen aus der Medizin und Psychotherapieforschung
Medizinische Forschung
In der medizinischen Wissenschaft ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung (Kausalität) von besonderer Bedeutung. Ein sehr einfaches Beispiel der Erforschung eines derartigen Zusammenhangs ist die Überprüfung der überlieferten bekannten Annahme über die Wirkung von Hühnersuppe bei grippalem Infekt. Die nicht-wissenschaftliche Betrachtungsweise würde jetzt vorschlagen, diese Auffassung anzunehmen, wenn doch fast alle sagen, dass bei einer Erkältung eine Hühnersuppe wahre Wunder bewirkt.
Der kritische Beobachter lässt sich allerdings nicht beeinflussen oder irritieren von dem, was alle meinen und sagen, sondern zieht in Betracht, dass das subjektive Empfinden einer Wirkung auch auf psychosomatische Effekte (z.B. von der Wirkung überzeugt sein) und anderen kausalen Effekten (z.B. Bettruhe- und Erholungseffekte) zurückzuführen sein könnte.
Andere kausale Effekte könnten einen Scheinzusammenhang zwischen der erklärenden Variable (Hühnersuppe ja/nein) und der Zielvariablen (Krankheitsdauer) ergeben. Z.B. könnten insbesondere jene Menschen, die sich bei einer Erkältung mit Hühnersuppe verwöhnen, vermehrt dazu neigen, sich zudem viel Ruhe und Erholung zu gönnen. Deshalb sollten die beiden untersuchten Gruppen möglichst gleichartig sein oder es müssen Kontrollvariablen eingesetzt werden, um den Einfluss der anderen Variablen (confounding variables) herauszurechnen.
Eine erste Analyse der Zutaten findet jedoch Inhaltsstoffe, die unter Umständen das Immunsystem unterstützen, Entzündungen hemmen und die Schleimhäute abschwellen lassen. Diese erste Erkenntnis regt dazu an, die Wirkung der Suppe wissenschaftlich auf einen Effekt bezüglich der Krankheitsdauer durch Beobachtungen empirisch zu überprüfen.
Aus der Forschungsfrage über die Wirkung von Hühnersuppe auf die Krankheitsdauer lassen sich folgende Hypothesen ableiten:
- H₀ : μ₁ = μ₂, Hühnersuppe hat keine Auswirkung auf die Krankheitsdauer,
- H₁ : μ₁ < μ₂, Hühnersuppe verkürzt die Krankheitsdauer,
wobei μ₁ die Krankheitsdauer mit der Hühnersuppe und μ₂ die Krankheitsdauer mit einer Plazebosuppe mit Hühnergeschmack ist. Dabei wird der wahre Mittelwert der Population (Erwartungswert) μ durch den berechneten Mittelwert der Stichprobe x̄ einschließlich einer Standardabweichung s in Abhängigkeit vom Umfang der Stichprobe n geschätzt.
Die Nullhypothese H₀ kann nur mit einer bestimmten Sicherheitswahrscheinlichkeit 1−α verworfen werden bzw. die Alternativhypothese H₁ nur mit einer bestimmen Irrtumswahrscheinlichkeit α angenommen werden. Meist wird eine statistische Sicherheit von 95% gefordert.
Zu beachten ist außerdem, ob die Krankheitsdauer einer Normalverteilung folgt, ansonsten kann der Schätzer x̄ nicht für statistische Tests herangezogen werden, sondern es wäre ein verteilungsunabhängiger Test (auch nichtparatmetrische oder parameterfreie Verfahren genannt) erforderlich, z.B. der Median-Test.
Hier zeigt sich, wie wichtig in den meisten Forschungsgebieten umfassende Kennnisse der Statistik sind. Eine gute Online-Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik finde Sie auf der Website www.crashkurs-statistik.de.
Psychotherapieforschung
Bei einer psychotherapeutischen Behandlung geht man davon aus, dass innere Konflikte, Traumatisierungen und falsch eingelernte Verhaltens- und Denkweisen die psychische Problematik verursachten. Durch die Bearbeitung dieser Ursachen und Hintergründe unter Berücksichtigung der Beziehungsdynamik zu wichtigen Bezugspersonen der Kindheit wird die psychische Problematik aufgelöst. Dabei spielt vor allem die psychotherapeutische Beziehung eine wesentliche Rolle für den Therapieerfolg.
Kritsch betrachtet fragt es sich allerdings, ob es bei bestimmten Störungen eventuell eine spezielle Psychotherapie mit Abstimmung auf das Krankheitsbild bräuchte, z.B. bei Essstörungen. Bei genauerer Betrachtung von Essstörungen werden deren Komplexität und Besonderheiten offenbar. In der Folge können die spezifischen Erfordernisse einer möglichst erfolgreichen Therapie von Essstörungen bestimmt werden.
Nach dem Herausfinden essstörungsspezifischer Behandlungsstrategien und dem Festlegen der Untersuchungsmerkmale soll nun die Wirksamkeit von den daraus entwickelten psychotherapeutischen Ansätzen verglichen werden. Dabei werden die Patienten nach Zufallsprinzip folgenden Behandlungsgruppen zugeteilt:
- Standard-Psychotherapie mittels ambulanter Regelversorgung durch erfahrene Psychotherapeuten (Behandlungsgruppe 1)
- Speziell für Essstörungen entwickelte Variante der Verhaltenstherapie (Behandlungsgruppe 2)
- Speziell für Essstörungen entwickelte Variante der Psychoanalyse (Behandlungsgruppe 3)
Die Aufteilung der Patienten zu den Behandlungsgruppen nach dem Zufallsprinzip ist eine grundlegende Voraussetzung für inferenzstatistische Analysen. Die Inferenzstatistik, auch induktive oder schließende Statistik genannt, beruht auf den Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie, die wiederum auf Zufallsstichproben basiert. Eine Zuordnung der Patienten z.B. nach Sympathie und Interesse oder gar nach Ausprägung des Störungsbildes würde eine maßgebliche Verzerrung (Bias) der Ergebnisse verursachen.
Zu beachten ist auch, dass es aus ethischen Gründen keine Kontrollgruppe gibt, die gar keine psychotherapeutische Behandlung erhält. D.h. Wissenschaft hat immer auch ethische Aspekte abzuwägen und muss eventuell auf Erkenntnisse verzichten, wenn deren Erforschung unseren ethischen, gesellschaftlichen und humanistischen Werten widerspricht.
Aus den Forschungsfragen ergeben sich nun folgende wissenschaftliche Hypothesen:
- H₀ : π₂ = π₁ , Therapieform 2 unterscheidet sich nicht von Therapieform 1,
- H₁ : π₂ > π₁ , Therapieform 2 ist wirksamer als Therapieform 1,
- H₀ : π₃ = π₁ , Therapieform 3 unterscheidet sich nicht von Therapieform 1,
- H₁ : π₃ > π₁ , Therapieform 3 ist wirksamer als Therapieform 1,
- H₀ : π₃ = π₂ , Therapieform 3 unterscheidet sich nicht von Therapieform 2,
- H₁ : π₃ ≠ π₂ , Therapieform 3 und Therapieform 2 unterscheiden sich in der Wirksamkeit,
wobei π₁ der Anteil der erfolgreich behandelten Patienten in der Behandlungsgruppe 1, π₂ der Anteil der erfolgreich behandelten Patienten in Behandlungsgruppe 2 und π₃ der Anteil der erfolgreich behandelten Patienten in Behandlungsgruppe 3 ist.
Der wahre Anteil π der erfolgreich behandelten Patienten wird mit dem berechneten Anteil der Stichprobe p geschätzt, wobei der Behandlungserfolg aus festgelegten Kriterien besteht, die bereits bei der Studienplanung festgelegt werden müssen.
Im Nachhinein erstellte oder geänderte Kriterien für den Behandlungserfolg können offiziell nicht berücksichtigt werden bzw. müssen in der Studie genannt und diskutiert werden, denn sie würden den Verdacht auf Manipulation der Studie hervorrufen. Z.B. nur jene Erhebungsmerkmale für den Behandlungserfolg heranzuziehen, die ein gewünschtes Ergebnis liefern.
Die einzelnen erhobenen Merkmale sowie Zusammenhänge von Merkmalen können jedoch auch im Nachhinein deskriptiv (beschreibend mit Maßzahlen und Graphiken) sowie induktiv analysiert werden. Häufig ergeben sich nach der Datenerhebung zusätzliche Forschungsfragen. Z.B. ob der Behandlungserfolg auch vom Alter der Patienten abhängt.
Forschung verstehen
Für den wissenschaftlich interessierten Laien und für Studierende bis zum Bachelor-Studienabschluss geht es weniger um die Fähigkeit, ein großes Forschungsvorhaben realisieren zu können, sondern vor allem um
- die Fähigkeit zur Literaturrecherche durch das Verstehen professioneller Forschung,
- das Kommunizieren (Schreiben, Reden und Diskutieren) über Forschung und Forschungsergebnisse,
- die Fähigkeit des kritischen wissenschaftlichen Denkens.